Dienstag, 4. Juni 2013

Verlage, Fans, Vergangenes

Einen großen Teil des ersten Jahrzehnts der 2000er Jahre habe ich in einer Buchhandlung verbracht und mich dort – neben ein paar anderen Abteilungen – hauptsächlich um Horror, Science Fiction und Fantasy (und Erotik) gekümmert (nun, ich habe auch viele Jahre davor im Buchhandel verbracht, rund das Viertel eines Jahrhunderts, ach du Scheiße).

Ich habe diese Genres schon immer geliebt und in jeder Buchhandlung, in der ich gearbeitet habe, dort entsprechende Abteilungen eingerichtet und aufgebaut.

Es war stets faszinierend zu beobachten, was funktioniert hat und was nicht. Natürlich auch in der allgemeinen Literatur, auch wenn man von Dingen wie dem alljährlichen Coelho Krätze bekommen hat. Aber wir reden hier von Horror, Phantastik allgemein.

Kurzes Beispiel dessen, was für mich nie so richtig funktioniert hat. Der Blitz Verlag. War allgemein bekannt, hatte auch ein gutes Programm, sehr viele Sammlerausgaben im Angebot, diverse Reihen, hat sich also richtig Mühe gemacht. Aber so wirklich hat sich das Programm nie durchgesetzt. Wann immer ich konnte, habe ich eine deutlich sichtbare Auswahl des Programms geführt, durfte gelegentlich sogar Schaufenster mit meinem Lieblingsstoff vollräumen. Aber Blitz hat nie so wirklich befriedigt. Viel zu viele Bücher sind abgewertet und verramscht worden, weil unverkäuflich und nicht mehr zu remittieren. Vereinzelte Titel sind ganz gut gelaufen, Autoren, die in der Edition Metzengerstein rauskamen.

Diese Edition – das kann man bei den meisten Fans von Horrorliteratur voraussetzen – wurde von einem gewissen Frank Festa betreut. Wer? Ja genau, der Typ vom FestaVerlag. Faszinierend war es auf jeden Fall, das Programm des Festa Verlags auf Lager zu haben – es funktionierte nämlich prächtig und bescherte mir eine Anzahl von Kunden, die ich eigentlich in dieser Treue nur von der erotischen Literatur her kannte – ha ha ha – Stammkunden und Fans des Programms.

Heyne funktionierte soo gut wie immer (ich klammere da mal die Periode aus, in der sich der Verlag im Besitz von Ullstein befand), Bastei war sehr titelabhängig und hatte es eigentlich nie geschafft, die Breite von z.B. Heyne zu erlangen. Blitz war ok, aber nicht weltbewegend, aber Festa … der Verlag hat eingeschlagen. Der erste Laymon, ein Fritz Leiber, Gustav Meyrink, etc., Bände aus »Lovecrafts Bibliothek des Schreckens«. Festa hat den Sammlerinstinkt geweckt – und das nicht nur bei mir.

Diese Bücher haben schnell wiederkehrende Leser gefunden, die darauf aus waren, Bücher dieses Verlags zu erwerben. Ich erinnere mich an einen ganz bestimmten Kunden, der wirklich beinahe wöchentlich kam, um zu schauen, sich über diverse Bücher zu unterhalten, auf Titel von Ewers und andere Klassiker zu warten und sich dann zu freuen, wenn sie im Regal standen und er eins nehmen konnte. Er war ein sehr netter, ruhiger Mann mit einer grauenhaften Vokuhila Frisur, gefönt, gefärbt, aber einem großen Genrewissen. Er ist nach einigen Jahren schwer krank geworden und gestorben.

Festa hat im Vergleich zu so manch anderen Verlagen tadellos funktioniert und ich hatte stets einen beträchtlichen Teil des Programms auf Lager. Zumindest in Österreich waren der Vertrieb und der Vertreter des Verlages zwar unter jeder Kanone und eher auf der ahnungslosen Seite, aber das hat zumindest für mich keine Rolle gespielt, weil ich ja wusste, was ich brauchte.

Festa hatte von Anfang an treue Leser, die bewusst nach dem Programm suchten. Die Hardcover Bibliothek war zwar nicht der Renner, aber sie ging solide (Andreas Gruber machte sich ganz gut, aber das war vielleicht lokal bedingt, er wohnt in der Nähe von Wien), von den Taschenbüchern und Paperbacks braucht man gar nicht reden, das waren zum Teil Selbstläufer – natürlich auch mit den üblichen Flops, wie sie jeder Verlag im Programm hat.

Festa hat sich, die eine Panne hier, die andere Katastrophe da, ziemlich gemausert und wuchs von einem kleinen Verlag, der rasch ein Stammpublikum gewann, zu einer Institution heran. Man mag das Programm mögen – so wie ich (bin gerade mit John Everson: Ligeia fertiggeworden, Rezension in ein paar Tagen auf meiner Website – nur kurz: saugeiles Buch! Buchstäblich!), oder man macht einen Bogen drumherum.

Aber man muss dem Verleger auf alle Fälle zugestehen, ein außergewöhnliches Gespür für Titel zu haben und über begnadetes Wissen bezüglich dieser Literatursparte zu verfügen – ein Fan und ein Irrer zu sein, anders geht das wohl nicht. Wenn ich irgendwas in den Buchhandlungen beobachten konnte, dann folgendes: Leser, die auch nur einen Hauch mehr Ahnung von Horrorliteratur hatten, spürten sehr schnell, was gut war und wo ein Verlag auf einen Hit aufsprang, um abzucashen. Und wenn man Festa eines nie vorwerfen konnte, dann ein Verlag zu sein, der Trends nachjagte, um Kohle zu machen. Es ist sicherlich der mühsamere und risikoreichere Weg, aber wenn es funktioniert, dann zahlt es sich aus und dann wird man von Seiten der Leser belohnt.

Und von den Autoren, die uns Frank Festa beschert hat und die keiner von uns mehr missen will, wollen wir gleich gar nicht anfangen – Bryan Smith, Edward Lee, Brett McBean, … und so weiter. Von der Entdeckung Richard Laymons brauchen wir gar nicht erst anfangen. Und die Pflege von Klassikern wie Clark Asthon Smith oder Robert E. Howard kann gar nicht genug geschätzt werden.

Dieses Kunststück, das Festa zustande brachte, gelang in kleinerem Rahmen einem winzigen österreichischen Verlag ebenfalls, der in der Nähe von Graz beheimatet war: Eingedeutscht hieß der Verlag "Anderwelt". Dessen Verleger, Michael Krug, Übersetzer von Genreliteratur, Thrillern und anderem Suchtstoff, machte sich daran, seine eigenen Vorlieben in Verlagsform zu bringen. Michael Krug – ihn kenne ich im Gegensatz zu Frank Festa persönlich und schätze ihn als sehr ruhigen, höflichen und sehr ehrlichen Menschen mit Handschlagqualität – hatte und hat ebenfalls ein erstaunliches Gespür für Autoren. Frank Festa kenne ich nur über schriftliche Konversation – auch sehr direkt, sehr höflich, und ein Freak (Himmel, der Mann hat vermutlich mehr über Phantastik vergessen, als wir Normalsterblichen je wissen werden – beneidenswert).

Als ich die ersten Bücher seines Verlags neben Heyne und Festa in meine Horrorabteilung quetschte, vollkommen ahnungslos, was zum Teufel das für ein Verlag war, den mir die rührige Vertreterin da vorgestellt hatte (die gute Frau war viel besser drauf als der sehr freundliche, aber in Sachen Genre vollkommen unbeleckte Herr der Auslieferung des Festa Verlags).

"Anderwelt" überraschte mich, gleich zu Beginn mit einem echten Bestseller – unmöglich dick, Hardcover, damit etwas teurer, aber … Brian Keene! Volltreffer des winzigen Verlags. Das Reich der Siqqusim verkaufte sich wie Sau – für einen Hardcover Horroroman. Mehr als nur einmal habe ich leicht variiert den Sager »geil, Brian Keene auf deutsch« gehört.

Ab dem Moment war auch "Anderwelt" ein Verlag, der seine Stammkunden hatte – in kleinerem Ausmaß, weil ein kleinerer Verlag, aber in den Relationen genauso beliebt. Auch Scott Sigler, der auch in unseren Breitengraden eine Fangemeinde hat, eine Entdeckung von Michael Krug. Nehmen wir Ronald Malfi dazu, Jeff Strand und keinesfalls zu vergessen David Moody.

Im Unterschied zu Festa, der sich am Versuch der Science Fiction überhob – trotzt einer hervorragenden Auswahl an Autoren wie Dan Simmons, Nancy Kress, John Barnes und anderen, war Michael Krug der Fantasy zugeneigt und bot neben ein paar alteingesessenen Autoren auch Leuten wie Robin Gates und Stephan Bellem eine Publikationsmöglichkeit.

Michael Krug hatte wie Frank Festa auch seine dunkle Stunde – er ging eine Kooperation mit einem ehemaligen größeren österr. Verlag ein. Diese Kooperation beschädigte durch Verwässerung des Programms letztendlich den Namen, machte ihn unbenutzbar und killte den Verlag.

Michael Krug kommt allerdings zurück. Mit neuem Namen – schlicht und ergreifen mkrug verlag – mit kleinerem Programm und einigen Gustostücken, die er behalten hat, dazu neue Leckerbissen. Ende Juni wird eine neue Website stehen und ein Programm für den kommenden Herbst – und vielleicht schon für das nächste Frühjahr präsentieren. Print und eBook.

Was haben jetzt Frank Festa und Michael Krug gemeinsam? Beide sind Genrefans. Beide sind innovative Verleger, die nach neuen Autoren suchen und verlegen, was sie persönlich gerne lesen. Beide haben für einige Autoren, die wir als selbstverständlich ansehen, den Weg geebnet. Beide haben Autoren an große Verlage verloren. Laymon wurde zum größten Teil von Heyne abgegriffen, Keene und Sigler wurden von Heyne aufgekauft, auch Malfi ging zuerst an Heyne. Keene wurde jetzt wiederum von Festa aufgenommen, was irgendwie nach Ironie riecht.

Beide Verleger haben eine bewegte Geschichte hinter sich und beide können sich an die Fahne heften, Entdecker und Pioniere zu sein. Festa und Krug haben Autoren für die deutschsprachige Leserschaft entdeckt, die für uns heute zum Standard gehören – diesen Riecher und den Mut, das Risiko einzugehen, das kann ihnen niemand mehr nehmen.

Bla bla, kann ich jetzt hören. Und was ist mit anderen Verlagen? Was ist mit Atlantis? Was ist vor allem mit Michael Preissl (Freak und Fan und netter Kerl) und Voodoo Press? Mit Peter Hiess (totaler Freak und sympathischer Wahnsinniger) und Evolver Books?

Ganz einfach: Festa und "Anderwelt" habe ich als Sortimentsleiter als bemerkenswert empfunden, mit den Verlagen hatte als Buchhändler mehr zu tun. Mit Blitz zum Beispiel weniger, andere kleinere Verlage haben – leider – so gut wie keine Rolle gespielt. Voodoo Press und Evolver Books sind in Erscheinung getreten, als ich meinen Abgang aus dem Buchhandel gemacht habe, und darum finden sie hier auch nur als Randnotizen Erwähnung. Meine Meinung zu den Büchern dieser Verlage kann jeder auf meiner Website nachlesen, wenn er sich die Rezensionen ansieht.

Das ist jetzt mir persönlich sehr wichtig: Trotz meiner persönlichen Wertschätzung für Michael Krug und meiner Achtung vor der Instituion Frank Festa habe ich nie eine Rezension schöngefärbt, um jemandem einen Gefallen zu erweisen.

So eine Scheiße hat keiner von uns dreien nötig und wenn ich irgendeine Lehre aus meinen Beobachtungen ziehen wollte, dann diese: Im Endeffekt lassen sich die wirklich an dem Genre interessierten Leser ohnehin nicht bescheißen. Nenne es, wie du willst, Instinkt, Gespür, Riecher, egal.

Die Leute spüren, ob jemand ehrlich daherkommt oder ihnen Dreck andrehen will. Und weder Frank Festa noch Michael Krug können, wollen und dürfen es sich erlauben, den Grundstock an Lesern, die Hardcore Basis zu verarschen. Dazu sind außerdem beide selbst viel zu sehr Fan und Profi. Und ich? Ich bin Fan. Ich lese den Scheiß. Ich schreibe den Scheiß. Ich liebe den Scheiß und darum rezensiere ich den Scheiß, freue mich daran, meckere darüber. Lebenslange Leidenschaft.

Nun gut, so viel zu meinen lückenhaften, persönlichen Erinnerungen. Zum Abschluß die allergrößte, wichtigste Frage: Warum zum Teufel habe ich diesen elendig langen Artikel gerade geschrieben? Ehrliche Antwort: mir war gerade danach. Stimmungssache.

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